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Thursday, July 9, 2020

Massentierhaltung: Was Schweine in ihrem Sau-Leben denken und fühlen - FOCUS Online

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„Sie sind uns Menschen sehr ähnlich“: Geboren für die Schlachtbank: Was ein Schwein in seinem Sau-Leben denkt und fühlt

Donnerstag, 09.07.2020, 22:22

Der Tönnies-Skandal deckt schonungslos auf, wie Schweine in der Fleischindustrie zur Massenware degradiert werden. Dabei weiß die Wissenschaft inzwischen: Die Tiere sind intelligent, kommunizieren miteinander und haben ein intensives Sozialleben. Wie Schweine ticken, weiß Verhaltensbiologe Karsten Brensing.

Schweine sind uns Menschen in vieler Hinsicht ganz ähnlich. Das hat Verhaltensbiologe Karsten Brensing erforscht. Er setzt sich als wissenschaftlicher Gutachter und Verfasser von populärwissenschaftlichen Büchern für ein besseres Verständnis von Tieren ein. Im Gespräch mit FOCUS Online erklärt der Wissenschaftler, wie Schweine wirklich ticken, was sie fühlen und denken - und warum sie ihre Partner auf die gleiche Weise auswählen wie wir Menschen.

FOCUS Online: Herr, Brensing, wer an einem Schweinestall vorbeiläuft, hört nur Quieken und Grunzen. Sie haben ein Buch mit dem Titel „Die Sprache der Tiere“ geschrieben. Heißt das, Schweine sprechen miteinander? Wenn ja, was haben sie sich zu erzählen?

Karsten Brensing: Was wir Menschen gemeinhin unter Sprache verstehen – also Vokabular, zehntausende Begriffe –, das gibt es natürlich nicht bei Schweinen. Trotzdem kommunizieren Tiere untereinander. Sie geben Laute von sich, können diese zu Wörtern, ja sogar zu Sätzen kombinieren.

Für uns quieken und grunzen Schweine nur. Aber sie äußern dadurch, wie es ihnen geht. So kann man am Klang des Grunzens zum Beispiel ablesen, ob ein Tier besorgt ist, ob es Schmerzen hat oder gestresst ist. Auch Panik und Todesangst kurz vor dem Schlachten empfinden die Tiere – und sie artikulieren diese Gefühle mit entsprechenden Lauten.

Tierwohl: "Ein Schwein denkt und fühlt nicht sehr anders als ein Mensch"

FOCUS Online: Was machen Schweine, wenn sie in Todesangst sind?

Brensing: Sie quieken und grunzen – manchmal sehr laut, manchmal auch nur leise. Pauschal kann man das nicht sagen. Es gibt kein generelles Reaktionsmuster bei Schweinen. Sie sind wie wir Menschen sehr unterschiedlich, ihr Verhalten individuell.

FOCUS Online: Das heißt, Mensch und Schwein sind sich hier gar nicht so unähnlich?

Brensing: Ganz genau. Schweine ähneln uns, sie führen emotional und sozial ein vergleichbares Leben wie wir. Sie sind gesellig, leben in sozialen Verbünden mit unterschiedlichen Rollen und Hierarchien und erkennen auch die Charaktereigenschaften ihrer Artgenossen. Sie merken sich, mit wem sie gut können und mit wem nicht. Kurz gesagt: Ein Schwein denkt und fühlt nicht sehr anders als ein Mensch.

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"Schweine haben Freunde, eine Biographie und können in die Zukunft planen"

FOCUS Online: Und was ist mit dem Instinkt? Der ist bei Schweinen doch sicherlich stärker ausgeprägt als bei uns Menschen.

Brensing: Das hat man lange Zeit angenommen. Allerdings weiß man heute, dass es den Instinkt so eigentlich gar nicht gibt. Früher betrachtete man das Innenleben eines Tieres lediglich als eine „Black Box“. Man untersuchte, was hineingeht und was herauskommt. Man konzentrierte sich rein auf das äußerliche Verhalten des Tieres, seine Reaktionen auf Impulse aus der Umwelt. Diese Ansatz gilt heute in der Verhaltensforschung und  Psychologie als veraltet.

FOCUS Online: Was wissen Sie heute über die Psychologie der Schweine?

Brensing: Wir wissen zum Beispiel, dass sie logisch denkende und fühlende Wesen sind. Schon nach wenigen Lebenswochen nehmen sie es von der kognitiven Entwicklung her locker mir zwei- bis dreijährigen Menschen auf. Schweine kennen Freundschaft, haben eine Biographie, an die sie sich erinnern und können in die Zukunft sehen und planen.

Sie verstehen sogar das Konzept eines Spiegels. Wenn ein Schwein im Spiegel zum Beispiel Nahrung sieht, läuft es nicht auf den Spiegel zu, um dort Nahrung zu suchen – es geht zur tatsächlichen Futterstelle; und zwar ganz ohne Umwege.

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Mensch und Schwein: Ziemlich ähnlich auch bei der Partnerwahl

FOCUS Online: Wenn Schweine denken können, können sie auch fühlen. Wie kann man sich das geistige Leben einer Sau vorstellen?

Brensing: Auch hier sind Schweine Menschen sehr ähnlich. Gefühle sind eine uralte Erfindung der Natur und sie steuern unser Verhalten über das Hormonsystem. Ein klassisches Beispiel ist etwa die Partnerwahl: Wir fühlen uns zum Beispiel zu Menschen hingezogen, die gut riechen.

Der Geruch gibt Aufschluss darüber, wie sich die Immunsysteme der Partner ergänzen. Unsere Nachkommen sind dann gegen Krankheiten besser geschützt. Schweinen empfinden bei der Partnerwahl genauso, auch ihr Verhalten wird durch die entsprechenden Hormone gesteuert.

FOCUS Online: Das bedeutet, ein Schwein wählt seinen Partner nach den gleichen Kriterien aus wir Menschen?

Brensing: Zumindest im ersten Schritt, ja. Was den Menschen dann vom Schwein unterscheidet, ist lediglich, dass er noch über weitere Rahmenbedingungen der Partnerwahl nachdenkt. Etwa die Kultur des Gegenübers, seine Herkunft, sein Job. Das tut ein Schwein vermutlich nicht.

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FOCUS Online: Obwohl sie uns offenbar so ähnlich sind, sperren wir Schweine in Ställe ein – oft unter schrecklichen Bedingungen. Wie passt das zusammen?

Brensing: Das ist wohl in der Tradition begründet, in den Gesetzen, der Sprache - kurz gesagt: in unserer Kultur. Tiere gelten bei uns noch immer als Sachen. Obwohl die Wissenschaft inzwischen viel mehr über ihr Denken und ihre Gefühle weiß als früher, werden sie immer noch als „Black Boxes“, als Nutztiere oder wie im Fall der Schweine als Schlachtvieh bezeichnet. Psychologen nennen das übrigens Opferabwertung, damit tricksen wir unsere eigene Moral aus.

Schlachthaus: "Die Tiere leiden unter Stress"

FOCUS Online: Wie sehr leiden Schweine und andere Tiere unter den Bedingungen in engen Ställen und auf ihrem Weg zur Schlachtbank?

Brensing: Das haben Kommunikationsforscher untersucht. Sie ermittelten anhand der Laute, die die Tiere von sich gaben, ob sie unter Stress litten. Und ja, das ist oft der Fall. Eigentlich hätten wir angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Fühlen und Denken der Tiere schon längst die Haltungsbedingungen ändern müssen. Doch stattdessen hat man die Tiere an die Haltungsbedingungen angepasst.

Es wurden zum Beispiel Schweine gezüchtet, die weniger laut quieken – in der Annahme, dass diese dann weniger leiden. Doch das steht nicht im Einklang mit unserem Gesetz, denn wir müssen die Haltungsbedingungen an die Tiere anpassen und nicht umgekehrt.

FOCUS Online: Wenn sich ohnehin nichts in puncto Tierwohl ändert, warum beschäftigen Sie sich dann überhaupt mit dem Thema?

Brensing: Ich glaube fest daran, dass wir mit Tieren irgendwann so umgehen werden, wie sie es verdienen. Dieser Gedanke motiviert mich. Ich bin mir sicher, dass künftige Generationen das, was wir heute mit den Tieren machen, als bestialisch bezeichnen werden.

Eingesperrt im Stall: "Die Tiere brauchen Freude und Motivation"

FOCUS Online: Sie haben im vergangenen Jahr ein Kinderbuch dazu geschrieben. Was wollen Sie künftigen Generationen mitgeben?

Brensing: Es ist wichtig zu verstehen, was ein artgerechter Umgang mit Tieren eigentlich bedeutet. Es sollte im Vordergrund stehen, den Tieren ein möglichst natürliches Verhaltensspektrum zu ermöglichen. Dazu gehört einerseits die Vermeidung von Leid und Schmerzen. Noch viel wichtiger ist allerdings, dass man Tieren auch Freude und Motivation ermöglicht. Und diese können Schweine nur empfinden, wenn sie ihrem natürlichen Verhalten nachgehen können, wenn sie auf Nahrungssuche gehen und mit ihren Artgenossen kommunizieren.

So wie wir Schweine im Moment behandeln, reduzieren wir meiner Meinung nach mehr als 90 Prozent das natürlichen Verhaltensspektrums. Und da hilft es nicht, einen Ball in den Schweinestall zu legen, um ein bisschen Abwechslung zu schaffen. Das ist vielleicht gut gemeint, ändert aber nicht viel.

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July 10, 2020 at 03:22AM
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